Ist das Schweizer Stromsystem für die Energiestrategie 2050 gerüstet?

Seit der Ver?ffentlichung der Energiestrategie 2050 wird intensiv und mitunter sehr emotional diskutiert, ob die gesetzten Ziele überhaupt realisierbar sind. Das ETH Power Systems Laboratory hat nun untersucht, ob die Energiestrategie mit der geplanten Schweizer Strominfrastruktur technisch machbar ist.

Enlarged view: Stausee
Speicherseen und Pumpspeicher sind zentral für das künftige Energiesystem der Schweiz. (Bild: Lac d'Emosson, Wallis / iStock)

Im Jahr 2011 haben Bundesrat und Parlament den Entscheid gef?llt, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen. Für den Umbau des Schweizer Energiesystems hat der Bund die Energiestrategie 2050 [1] formuliert, über die kontrovers debattiert wird. Um eine faktenbasierte Diskussion über die Schweizer Energiepolitik zu unterstützen, hat die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) vom ETH Power Systems Laboratory (PSL) untersuchen lassen, ob die geplante Energiestrategie des Bundesamts für Energie (BFE) mit der heute vorhandenen und bereits geplanten Infrastruktur technisch machbar ist, und ob die Versorgung auch in Extremf?llen gew?hrleistet werden kann.

Hochaufl?sende Simulationen mit Netzmodellen

Unsere Studie [2] beruht auf einem europ?ischen Stromnetzmodell, das 29 L?nder und die jeweiligen Strommarktzonen umfasst. Das Modell nutzt Daten zum Kraftwerkportfolio in jedem Land sowie landestypische Lastverbrauchs- und Wind-/Photovoltaik-Einspeisezeitreihen. Die anvisierten Ausbaupl?ne für das europ?ische Stromnetz (Kraftwerks- und Stromtransportkapazit?ten) werden im vollen Umfang berücksichtigt.

Das Schweizer Stromsystem haben wir deutlich detaillierter durch fünf Sub-Regionen (Wallis, Tessin, Graubünden, restliche Deutschschweiz, restliche Westschweiz) abgebildet. Die Eckdaten zum Schweizer Kraftwerkpark, zur Energiekapazit?t der Speicherseen und zum Lastverhalten basieren auf Statistiken und den Energiestrategieszenarien des BFE. Zudem haben wir einen ?Stresstest? für das Hochspannungssystem mit deutlich h?herem Landesverbrauch gem?ss einem Szenario der Internationalen Energieagentur (IEA) simuliert. Die angenommenen Stromtransportkapazit?ten zwischen den fünf Schweizer Regionen beruhen auf Swissgrid-Netzdaten für das geplante ?bertragungsnetz im Jahr 2020.

Unter Berücksichtigung der Grenzkosten der einzelnen Kraftwerke haben wir in hochaufl?senden Simulationen (8‘760 stündliche Simulationsschritte pro Jahr) den europaweiten Einsatz von Kraftwerken für die künftige Stromerzeugung optimiert. Wir sind dabei von einer Einspeise-Priorit?t für fluktuierende erneuerbare Energien (Wind, Photovoltaik, Wasser) ausgegangen und haben uns insbesondere auf eine optimale Pumpspeicher- und Speicherseebewirtschaftung konzentriert.

Keine Engp?sse, aber hohe Importe

Unsere Ergebnisse zeigen, dass das geplante Schweizer Stromsystem gut für die Energiestrategie gerüstet ist. Unter der Annahme, dass alle für 2020 bis 2025 geplanten Ausbauten im Bereich Netz und Pumpspeicherkraftwerke realisiert werden, reichen sowohl die nationalen als auch die grenzüberschreitenden Leitungskapazit?ten in Zukunft für die Landesversorgung aus.

Entwickeln sich Produktion und Verbrauch gem?ss den untersuchten BFE-Szenarien, treten bis 2050 keine Versorgungsengp?sse in der Schweiz auf. Dasselbe gilt sogar für das IEA-Szenario mit 50 Prozent h?herem Verbrauch. Dann sind aber Stromimporte von bis zu 20 Terawattstunden (TWh) notwendig, was rund 30 Prozent des heutigen Landesverbrauchs (ca. 59 TWh) entspricht.

Enlarged view: Grafik Stromszenarien
BFE-Energiestrategie 2050: Erzeugung der Elektrizit?t (dargestellt als Fl?chen) und verschiedene Verbrauchszenarien (Linien). Quelle: [3]

Der Schweizer Stromverbrauch geht also über die Eigenproduktion hinaus, kann jedoch für alle Szenarien durch Stromimporte gedeckt werden. In Europa wird gem?ss heutiger Planung genügend Kraftwerksleistung verfügbar sein. Zus?tzliche Gaskraftwerke in der Schweiz k?nnen w?hrend einer ?bergangsphase sinnvoll sein, sind aber nicht unbedingt notwendig. Sie würden zwar den Stromimport reduzieren, erh?hten aber die Abh?ngigkeit von Gasimporten und k?nnten nicht voll ausgelastet werden.

Speicherseen als Sicherheitsgaranten

Die entscheidende Rolle für eine sichere Stromversorgung spielen die Schweizer Pumpspeicherkraftwerke und Speicherseen. Mit ihrer enormen Leistungs- und Energiekapazit?t stellen sie eine grosse Flexibilit?tsquelle dar. Selbst in kritischen Situationen decken sie den Grossteil der Stromversorgung ab. Die Speicherseen k?nnen bis zu 15 Prozent des j?hrlichen Landesverbrauchs saisonal zwischenspeichern. Die Pumpspeicher als Kurzzeitspeicher absorbieren die Photovoltaik-Spitze um die Mittagszeit und decken den hohen Stromverbrauch in den Abendstunden ab. Zusammen mit der grossen Kapazit?t des ?bertragungsnetzes, das im Bedarfsfall grosse Import/Export-Volumen erm?glicht, ist die Schweiz im Vergleich zu ihren Nachbarn heute schon gut für den Netzbetrieb mit grossen Mengen fluktuierender erneuerbarer Energien aufgestellt.

Im Fall eines starken Ausbaus der Photovoltaik werden Engp?sse zuerst im Verteilnetz auftreten. Die effektive Ertüchtigung der Verteilnetze ist daher das Thema einer Folgestudie.

Weiterführende Informationen

[1] external pageEnergiestrategie 2050

[2] external pageSATW-Studie

[3] BFE Energieperspektiven (Tabelle 7-60, Seite 341 und Annex III), Swissgrid

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